Guide Michelin Österreich 2025 – Meine Gedanken
Nun ist es, entgegen jeder Erwartung, doch noch so gekommen: Der Guide Michelin beehrt Österreich zum ersten Mal seit 16 Jahren (!) Anfang 2025 wieder mit einer eigenen Ausgabe. Warum der Weg zur Rückkehr ein schier endloses Fiasko war und warum die neue Ausgabe der einzige Weg zur Rettung der österreichischen Gastronomie ist, versuche ich im Folgenden zu erläutern. Doch beginnen wir ganz am Anfang.
Ein bissl Geschichte
Erstmals erschien der Guide Michelin 1900 – damals noch als Autowerkstätten-Führer mit technischen Tipps und Anlaufstellen für Autofahrer. 1923 fanden schließlich die ersten Restaurantempfehlungen Einzug in das rote Buch (vorerst noch ohne Sterne – die kamen erst drei Jahre später). Von Beginn an erfreute sich der Restaurantführer vor allem in Frankreich großer Beliebtheit.
Das Österreich-Debut gab es schließlich 2005. 52 Restaurants über alle Bundesländer verteilt wurden seinerzeit mit einem oder zwei Sternen prämiert – drei Sterne wurden nicht vergeben. Ebenfalls hielten über 100 Hotels Einzug, die für ihren hervorragenden Nächtigungsservice ausgezeichnet wurden. Insgesamt fanden über 2000 Gaststätten aller Art eine Erwähnung auf den 768 Seiten. Vier Jahre später, nach nur fünf Ausgaben, war das Gastspiel des Guide Michelin in Österreich auch schon wieder vorbei. Das abrupte Ende der Reihe mit der Edition 2009 wurde von der Direktion des Guide mit zu niedrigen Verkaufszahlen und einem allgemein niedrigen Interesse für das Produkt begründet. Sternebewertungen sollte es nach wie vor in den Städten Salzburg und Wien, die in der Ausgabe “Main Cities of Europe” vertreten sind, geben. Insgesamt 49 Restaurants außerhalb dieser beiden Städte verloren ihre Sterne (heute gibt es nur noch 15 besternte Restaurants in Österreich).
Was daraus folgte, war jahrelange Stille um die Sterne-Gastronomie in Österreich und ein Vormarsch des Gault-Millau, der in den folgenden Jahren zum mächtigsten Gastronomie-Führer Österreichs avancierte. Bis heute ist dieser Einfluss spürbar: nicht zuletzt durch den in Österreich weitläufig gebräuchlichen Begriff “Haubenkoch”, der in anderen Ländern kaum bis gar nicht bekannt ist – der Gault-Millau vergibt “Hauben” als besondere Auszeichnung.
Kindergarten und Schnitzelkultur
So verwundert es auch nicht, dass die Herausgeber dieses Haubenbuches, genauso wie die des Falstaff, lautstark protestierten, als 2023 endlich öffentlich über die mögliche Rückkehr des Reifen-Männchens nach Österreich diskutiert wurde. Dabei ging es um einen vermeintlichen Wettbewerbsvorteil ob der geplanten Förderung des Restaurantführers mit rund einer Million Euro aus der Staatskasse. Hier sahen die beiden Konkurrenten einen Nachteil, da diese nicht aus öffentlicher Hand finanziert werden – gelebte Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit gibt es eben nicht oft und kostet auch manchmal ein wenig Geld.
Doch auch in der breiten Bevölkerung fand das Projekt erneut scheinbar wenig Anklang. So las man in den Kommentarbereichen verschiedener Zeitungsartikel zum Thema viel Halbwissen und die allgemeine Missgunst des Österreichers. Ein Nutzer schreibt zum Beispiel von “Verschwendetem Steuergeld, um Hedonisten ins Land zu holen”. Von “absurd und abgehoben” über “Steuergeld für ein Buch in dem nur Restaurants stehen, die sich kein Normalsterblicher leisten kann” bis hin zu “In Zeiten von Social-Media ist der Guide Michelin überflüssig” wird nahezu das gesamte Spektrum der in Österreich weit verbreiteten kulinarischen Kleingeistigkeit bedient. Fast immer schwingt dabei die “Hauptsache billig”-Schnitzelmentalität mit, häufig gepaart damit, überhaupt nicht zu wissen, was der Guide Michelin ist, geschweige denn jemals selbst einen Blick hinein geworfen zu haben.
Für mich bleibt die Missgunst meiner Landsleute wahrscheinlich für immer ein Rätsel. Essen zu zelebrieren, gerne Geld dafür auszugeben und Kulinarik als Kulturgut wahrzunehmen, scheint in vielen Köpfen auf völliges Unverständnis zu stoßen. Sternerestaurants zu besuchen wird häufig als dekadent, abgehoben, mithin sogar als pervers betrachtet – obgleich dies für den Besuch von Theatern, Opern oder Kunstgalerien nicht zu gelten scheint. Schon gar nicht ist die Geldlogik auf den Kauf eines Haufens Blech auf Rädern für den Preis eines Jahresgehalts anzuwenden. Schließlich lässt sich der auch viel besser auf den Parkplatz vor dem Fenster des Nachbarn stellen als eine hervorragende Crème Brûlée. (Wobei in diesem Fall bestimmt beides im Sinne von Michelin wäre.)
Sapere aude
Ich schweife ab … Jedenfalls stand der Neubeginn des roten Buchs in Österreich über ein Jahr lang im wahrsten Sinne des Wortes auf Messers Schneide. Glücklicherweise wagten es schließlich einige wenige, den Mut zur Vernunft aufzubringen. Allen voran der Herausgeber des Magazins “Kalk & Kegel” Michael Pöcheim-Pech, der mit einer Petition über 20.000 Unterstützende für die Sache zusammentrommelte. Auch scheint es doch vereinzelt politische Verantwortliche zu geben, denen das Thema wichtig ist und die gemeinsam mit der Österreich Werbung eine Finanzierung auf die Beine stellten. Und so war es Mitte Februar 2024 endlich offiziell: Der “Guide Michelin Österreich” erscheint, 20 Jahre nach seiner Premiere und nach 15 Jahren Funkstille wieder ab Jänner 2025.
Aber was bedeutet das jetzt?
Nichts anderes als neue Chancen und vor allem Chancengleichheit! Österreich war über die letzten Jahre, aus internationaler Perspektive, kulinarisch ein großer blinder Fleck (verglichen mit z.B. Deutschland, das auf die Bevölkerung gerechnet mit doppelt so vielen Sternerestaurants aufwarten kann). Meiner Meinung nach lange genug! Die Episode des Sich-Abkapselns und Versteckens muss ein Ende haben.
Die österreichische Küche ist wundervoll. Und dass man diese auch großartig umsetzen kann, beweisen viele österreichische Gastronominnen und Gastronomen im In- und Ausland. (Beispielsweise Heinz Reitbauer in Wien, aber auch Sebastian Frank in Berlin.)
Um aufs Neue unter Beweis zu stellen, dass Österreich mehr zu bieten hat als Schnitzel und Stelzen fragwürdiger Herkunft, deren einziges Attribut ist, dass sie schnell und möglichst unter dem Preis einer Wochenkarte für die U-Bahn zu haben sind, braucht es einen internationalen, unabhängigen Restaurantführer. Es braucht anonyme Tester, die sich weder von weißen Tischdecken bis zum Boden und einer Armee aus Kellnern in Fracks, noch von Billig-Menüs und unfreundlichen Wirten beeindrucken lassen – Tester, die in dem, was sie tun, durch jahrelange Erfahrung geschult sind und auf der ganzen Welt nach gleichen Kriterien bewerten. Aber vor allem braucht es die Reichweite und das weltweite Renommee, das der Guide Michelin ohne Zweifel und völlig zurecht genießt. Endlich hätten auch wieder ländlich gelegene Restaurants die Möglichkeit auf einen verdienten Stern (oder auch zwei oder drei). Das alles böte die Chance, gepaart mit ein bisschen Mut zur Veränderung auf Seiten der Gastronominnen und Gastronomen, die österreichische Kulinarik über die Landesgrenzen hinauszutragen.
Nicht zuletzt bietet der zweite Auftritt des Guide Michelin in Österreich auch Gelegenheit, mit Stereotypen und Gerüchten aufzuräumen. Sterneküche ist nicht immer sündhaft teuer. Sie ist nicht zwangsläufig mit steifem Service und totenstillen Gasträumen verbunden. Sterneküche bedeutet oft, das Einfache brillant umzusetzen – und genau das kann auch Österreich.
Hoffnungen und ein speckiger Mann im Regal
Nun bleibt zu hoffen, dass der Aufenthalt des kleinen Michelin-Mannes in Österreich diesmal länger währt. Ich jedenfalls werde die neue Ausgabe kaufen. Nicht, um sie jedem Besucher im Bücherregal strahlend zu präsentieren – wobei das sicher auch vorkommen wird –, sondern um mich vor allem daran zu erfreuen, mein Land aufs Neue kulinarisch zu entdecken.