Kugeln, Kreise, überall! – Herzig
In der Schanzstraße, ganz im Westen von Fünfhaus, an der Grenze zum 14. Bezirk, befindet sich das Restaurant “Herzig”. Eingebettet ins Erdgeschoss des 1927 erbauten Dorotheum Fünfhaus befindet es sich in einem Gebäude mit großer Historie. Schließlich wurden hier jahrzehntelang Kunstwerke aller Art gehandelt und gelagert bevor das Bauwerk ein Vierteljahrhundert leer stand und 2018 – nach einer Renovierung – wiederbelebt wurde. So ist es auch mehr als passend, dass sich hier Sören Herzig – Namensgeber des Restaurants – gemeinsam mit seiner Frau Saskia seit 2019 darin versucht, Kunst auf der Leinwand mit Kunst auf dem Teller zu vereinen, indem er im Gastraum verschiedene Werke zeitgenössischer österreichischer Künstler wie Peter Jellitsch und Clemens Wolf ausstellt.
Der Inhaber und Chefkoch ist kein Unbekannter. Jahrelang war er als Chef de Cuisine in Juan Amadors “Wirtshaus” tätig und wesentlich an dessen zweifachem Sterneerfolg beteiligt. So verwundert es auch nicht, dass der Guide Michelin sein eigenes Restaurant nach Eröffnung postwendend mit einer Erwähnung kennzeichnete.
Dies ist nicht mein erster Besuch bei Herzig. Beim Betreten des Gastraums bin ich dennoch überrascht wie wenig man sich in einem Restaurant wähnt. Eher gleicht der erste Eindruck einer Mischung aus Wellness-Bereich und Kunstgalerie – womit sich der Kreis zum eigentlichen Konzept schließt. Und Kreise scheinen hier genau das Motto zu sein. Von kreisförmigen Gemälden an den Wänden über ebenso geformte Raumteiler, bis hin zu runden Tischen mit kreisförmigen Tischsets – Kreise, Rundungen wohin man auch blickt! Insgesamt ergibt sich daraus ein stimmiges, ungezwungenes, dennoch elegantes Gesamtbild.
Am Tisch angekommen werde ich direkt mit einem Glas Ruinart Brut begrüßt. Alternativ wurde, vom sehr freundlichen Sommelier, Rosé aus demselben Haus angeboten. Ich entscheide mich für die alkoholfreie “Saftbegleitung” und wage einen kurzen Blick in die am Tisch gefaltete Karte, als bereits die erste Reihe an Amuse-Bouches serviert wird, in der sich erneut die Sympathie zum Kreisrunden finden lässt.
Ein knuspriges Teigröllchen gefüllt mit raffiniertem Geflügelsalat und getoppt mit Marillenkonfitüre bietet im Mund ein cremiges Erlebnis klassischen Geschmacks von Hühnersalat. Die Marille ersetzt den fruchtigen Kontrast, den man in Geflügelsalaten üblicherweise von Mandarinen (oder gar Dosenfrüchten!) kennt, äußerst elegant und passend zur Petersilie sehr österreichisch.
Als nächstes folgt ein Signature-Dish von Sören Herzig: Der Schinken-Käse-Toast ist ganz und gar nicht klassisch zu verstehen. Hier präsentiert der Chef de Cuisine sein handwerkliches Können. Nach dem ersten Biss durch die zarteste und luftigste Pancake-Masse, die ich je gegessen habe, werde ich von intensiver Käsecreme und leichtem Schinken-Pesto förmlich umhüllt – zweifellos der charmanteste Schinken-Käse-Toast der Welt. Eine Freude!
Den Schluss bildet die geschmacklich prägnanteste Gaumenfreude dieser Serie. Ein Teig-Tässchen gefüllt mit feinen Wolfsbarsch-Streifchen und einer Haube aus Kaviar. Leider mit einer leicht unangenehmen Fisch-Note.
Es folgt ein Gericht, welches auf der Karte schlicht als “Radlberger Lax – grüne Aromen” bezeichnet wird. Was an den Tisch kommt, erinnert zunächst an Lachs mit Gurkensalat.
Unter einem Schaum aus Sauerrahm verbirgt sich ein frisches Tatar aus Lachs(-forelle?), welches grandios mit feinen Noten von Dill und Koriander – in Form kleiner, gefrorener Kügelchen – abgestimmt wird. Wieder ist es eine Neuinterpretation von schon Bekanntem – wieder gelingt es Herzig auf ganzer Länge.
Nach einem scheinbar obligatorischen, aber nicht weiter erwähnenswerten Butter-Brot-Gang folgt der erste wirkliche Gang des Menüs. Ein erneut kreisrundes Arrangement aus Taschenkrebsfleisch in einer kräftigen Bisque, ergänzt durch Kürbisnoten. Die Süße aus dem Kürbis geht mit der aus dem Krebs eine wunderbare Symbiose ein. Einzig den in der Karte erwähnten Karfiol kann ich nicht finden.
Im nächsten Teller wird ein kleines Forellenfilet in Kräuterjus, garniert mit gerösteten Bittersalat-Plättchen, serviert. Die Forelle ist geschmacklich zart und wird gut von der Jus getragen. Die Petersilienlimonade in der Getränkebegleitung ist dazu ein Volltreffer.
Die Basis des dritten Gangs bildet ein Bett aus geschmorten “Black Pearl King”-Austernseitlingen, auf dem eine sanft gebratene Jakobsmuschel thront. Umgeben wird das Ganze von Zimtjus in einem Ring aus Knoblauchcreme. Die Jakobsmuschel ist perfekt gegart und harmoniert besser als erwartet mit den Austernseitlingen. Die Knoblauchcreme hält sich geschmacklich angenehm im Hintergrund – Zimtnoten kann ich kaum erkennen.
Freudig erwarte ich den nächsten Gang. Hier wird der Versuch einer Interpretation des weltbekannten Caesar-Salats gewagt. Präsentiert wird eine Hechtnocke in einem Sud aus Parmesan und Kopfsalat, verziert mit Guanciale. Was sich ungegessen nach einer gelungenen Variante des italoamerikanischen Klassikers anhört, kann man leider nur als Ausrutscher des Abends betiteln. Die Hechtnocke ist geschmacklich uninteressant und wird von der barschen Bitterkeit des Suds erschlagen. Generell herrscht auf diesem Teller geschmacklich das absolute Gegenteil von Harmonie. Nichts scheint hier zusammenzupassen. Der einzige Lichtblick ist hier der Guanciale – allerdings auch nur, wenn man ihn unbefleckt vom Sud genießt.
Also schnell zum nächsten Teller, mit dem die Küche wieder zu gewohnter Stärke zurückfindet. Ein in Pancetta gehülltes, wundervoll zartes Rehrückenfilet spricht für sich. Gleichermaßen übertroffen und perfekt begleitet wird dieses von der ausgezeichneten Jus, in der sich eine feine Pfeffernote findet. Dass dabei die Topinambur-Kugel fast wie eine Beilage wirkt, tut der Sache keinen Abbruch.
Nach diesem gelungenen letzten “Hauptgang” folgt das erste Dessert des Abends. Unter einer Rose aus Vanillecreme verbergen sich – ein weiteres Mal – gefrorene Kügelchen. Zwischen diesen Perlen, die diesmal aus Topfen bestehen, finden sich kleine Apfelstücke mit Schale. Bei näherer Betrachtung sind dies jedoch gar keine wirklichen Äpfel, sondern kunstvoll gestaltete Stückchen von Apfelkuchen, die dem ursprünglichen Obst verblüffend ähneln. Die Creme wirkt geschmacklich sehr authentisch und die Eiskügelchen schlagen mit ihrer feinen Säure eine schöne Brücke zwischen Apfel und Vanille.
“A´ la Orange” heißt das Dessert, welches das Ende des Abends einläutet. Hier zeigt Sören Herzig einmal mehr, dass ihm außergewöhnliche Kombinationen liegen. Eine “Olive” aus dunkler Schokolade, die mit schwarzer Olive aromatisiert wurde, liegt auf einem mürben Oliventeig. Zwei Tupfer aus Orangengelee bilden den fein säuerlichen Kontrast dazu. Perfekt abgerundet wird das Ganze von der Nocke aus würzigem Milcheis. Nicht das bessere, sicher aber das interessantere der beiden Desserts.
Die Petit Fours, die der Chef de Cuisine persönlich an den Tisch bringt und präsentiert, sind alle außergewöhnlich gut gelungen und zur Saison passend gewählt. Die kleine Edelkastanien-Tarte sticht durch den Fokus auf die reine, unaufdringliche Süße der “Maroni” besonders positiv hervor.
Insgesamt konnte mich das Herzig mit seinem Konzept durchaus ein weiteres Mal überzeugen. Bekannte Gerichte neu zu denken ist definitiv eine Stärke des Küchenchefs und kombiniert mit seinem Küchenstil eine Linie, die es Wert ist, weiter verfolgt zu werden. Am Ende bezahle ich für das Menü mit Aperitif, Digestif und der alkoholfreien Getränkebegleitung 287€. Ein verhältnismäßig hoher Preis für diesen Abend. Doch so zufrieden, wie ich gegen 23 Uhr wieder die Schanzstraße betrete und mich auf den Heimweg mache, schlendere ich selten durch den 15. Bezirk.